Stadt und Regierungspräsidium nehmen Tötung geschützter Arten für den Polder Bellenkopf/Rappenwört wissentlich in Kauf
Anfrage der AfD-Fraktion bringt Tötungsrisiko für neun Vogelarten zu Tage.
Die Antwort der Stadtverwaltung zur am 18.05.21 im Gemeinderat behandelten Anfrage der AfD-Fraktion ist eindeutig: Stadt und RP erwarten, dass durch die sogenannten „ökologischen Flutungen“ neun z. T. geschützte Vogelarten im Bereich des neuen Polders getötet werden: „Soweit … die signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos gerade durch die ökologischen Flutungen ausgelöst werde, ist anzumerken, dass für diese neun Arten (Dorngrasmücke, Eisvogel, Feldlerche, Feldsperling, Fitis, Flussseeschwalbe, Goldammer, Kuckuck, Neuntöter, Schwarzmilan, Sumpfrohrsänger) folgerichtig auch Ausnahmeanträge gestellt und die beantragten Ausnahmen durch den Planfeststellungsbeschluss erteilt wurden.“, heißt es in der Verwaltungsantwort.
„In Amtsdeutsch wird uns mitgeteilt, dass das Regierungspräsidium die Tötung dieser neun Vogelarten genehmigt hat, darüber hinaus vorsorglich aber auch die der anderen Arten, die zusätzlich durch die Flutungen im Bereich des Polders ausgerottet werden!“, fasst Dr. Paul Schmidt, Vorsitzender der AfD-Fraktion, zusammen.
In der Verwaltungsantwort heißt es nämlich weiter: „Die Ausnahmen vom Tötungsverbot wurden im Planfeststellungsbeschluss nicht nur für Arten erteilt, bei denen feststand, dass Verbotstatbestände erfüllt werden, sondern auch für Arten, bei denen ein Erfüllen des Tatbestandes nicht sicher ausgeschlossen werden kann.“
Die AfD-Fraktion hatte diese Anfrage in den Gemeinderat gebracht, um die Stellungnahme der Stadtverwaltung zum Schreiben der Bürgerinitiative Rheinstetten e. V. vom 13. Februar 2021 an den Landes-Umweltminister in Erfahrung zu bringen.
Quelle:
Fragen der AfD-Fraktion an die Stadtverwaltung und die zugehörigen Stellungnahmen der Stadt, TOP29 der Gemeinderatssitzung am 18.05.2021:
1. Wie bewertet die Stadtverwaltung das Schreiben der „Bürgerinitiative für eine verträgliche Retention im Paminaraum Rheinstetten e. V.“ vom 13. Februar 2021 an den Umweltminister des Landes Baden- Württemberg, Franz Untersteller?
Der Polder Bellenkopf/Rappenwört zielt neben der Gewährleistung des Hochwasserschutzes auch auf die Renaturierung der früheren Rheinaue mitsamt der ihr eigenen Überflutungsdynamik ab. Die ökologischen Flutungen sind dabei wesentlicher Bestandteil, um eine schrittweise Anpassung an die Überflutungen zu ermöglichen. Nach dem Konzept der ökologischen Flutungen sollen die im Falle einer Retentionsflutung jeweils wiederkehrenden Beeinträchtigungen von Natur und Landschaft soweit wie möglich vermindert und vermieden werden, indem die betroffene Flora und Fauna an die bei Hochwasserrückhaltung auftretenden Überflutungen so angepasst wird, dass sich überflutungstolerante Gemeinschaften etablieren. Zwangsläufig werden in der Übergangsphase Arten, die an die bisherigen Lebensraumverhältnisse angepasst sind, beeinträchtigt.
Das Schreiben der Bürgerinitiative Rheinstetten e. V. vom 13. Februar 2021, welches der Anfrage der AfD zugrunde liegt, zielt auf die Verschärfungen des Artenschutzrechts durch das Urteil des BVerwG vom 14. Juli 2011 – 9 A 12.10 („Ortsumgehung Freiberg“) ab. Mit dieser Rechtsprechung wurde unter anderem klargestellt, dass die artenschutzrechtliche Erleichterung des § 44 Abs. 5 BNatSchG im Zusammenhang mit der Zerstörung von Fortpflanzungs- und Ruhestätten für ansonsten zulässige Eingriffe (sogenannte „arten- schutzrechtliche Legalausnahme“) nicht vom artenschutzrechtlichen Tötungsverbot freistellt.
Die geänderte Rechtsprechung wurde bei der Polderplanung nach unserem Kenntnisstand im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens berücksichtigt, so dass im Rahmen der zweiten Beteiligung der Träger öffentlicher Belange im Jahr 2015 im Gegensatz zum ursprünglichen Antrag nicht mehr nur für drei Arten (Schwarzspecht, Waldlaubsänger, Waldschnepfe) sondern für eine weitaus größere Anzahl die Notwendigkeit einer artenschutzrechtlichen Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG gesehen wurde.
Der Planfeststellungsbeschluss umfasst die Ausnahme für bestimmte Arten, bei denen eine entsprechende Beeinträchtigung vorliegt oder nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden kann (vgl. Ausnahmeanträge Artenschutzverträglichkeitsstudie Anlage 11 des Antrags auf Planfeststellung, S. 931 ff.).
Hinsichtlich der kritisierten Verwendung eines Formblatts zum Artenschutz ist anzumerken, dass das in den Antragsunterlagen zum Polder verwendete „Formblatt zur speziellen artenschutzrechtlichen Prüfung von Arten des Anhangs IV der FFH-RL und von Europäischen Vogelarten nach §§ 44 und 45 BNatSchG (saP)“ (Stand Mai 2012) vom Ministerium bei Planungs- und Zulassungsvorhaben (unabhängig vom Integrierten Rheinprogramm) als Arbeitshilfe empfohlen wird. Es soll eine einheitliche und systematische Prüfung der artenschutzrechtlichen Zugriffsverbote erleichtern und macht nur Vorgaben zu den notwendigen Prüfschritten, aber nicht zum Inhalt. Es wird darin explizit darauf hingewiesen, dass die Verwendung nicht die im Einzelfall erforderliche fachgutachterliche Beurteilung ersetzt.
2 a) Teilt die Stadtverwaltung die Rechtsauffassung des Gutachters und der Höheren Naturschutzbehörde, wonach bei der Artenschutz-Verträglichkeitsuntersuchung bei den besonders geschützten Arten, die heute im Polderraum leben, keine signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos durch die geplanten ökologischen Flutungen auftritt?
2 b) Gilt dies nur für Arten, die auch in der Überflutungsaue vorkommen oder Zweitbruten möglich sind?
Die Frage, ob ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko vorliegt, beurteilt sich im Einzelfall naturschutzfachlich anhand der art-, raum- und vorhabenspezifischen Parameter. Umstände, die für die Beurteilung der Signifikanz eine Rolle spielen, sind insbesondere artspezifische Verhaltensweisen, häufige Frequentierung des betroffenen Raums und die Wirksamkeit vorgesehener Schutzmaßnahmen. Soweit ausgeführt wird, dass bei einigen Arten mit dem Verweis auf eine auentypische Art eine Signifikanz verneint wurde, ist anzumerken, dass bei der Beurteilung, ob die Erhöhung eines Tötungsrisikos die Signifikanzschwelle überschreitet, natürliche Mortalitätsrisiken mit herangezogen werden können. Dabei können auch artspezifische Reproduktionsstrategien ein Faktor sein. Wie dies zu bewerten ist, ist letztlich eine, nach naturschutzfachlichen Kriterien zu beurteilende Frage.
Soweit ausgeführt wird, dass der Gutachter bei einigen Arten darauf hingewiesen habe, dass die signifikante Erhöhung des Tötungsrisikos gerade durch die ökologischen Flutungen ausgelöst werde, ist anzumerken, dass für diese neun Arten (Dorngrasmücke, Eisvogel, Feldlerche, Feldsperling, Fitis, Flussseeschwalbe, Goldammer, Kuckuck, Neuntöter, Schwarzmilan, Sumpfrohrsänger) folgerichtig auch Ausnahmeanträge gestellt und die beantragten Ausnahmen durch den Planfeststellungsbeschluss erteilt wurden.
Für die Erteilung bzw. Beurteilung artenschutzrechtlicher Ausnahmen für streng geschützte Arten und bei einer gleichzeitigen Betroffenheit von streng und (nur) besonders geschützter Arten, ist insgesamt die Zuständigkeit des Regierungspräsidiums, als höhere Naturschutzbehörde gegeben.
Die Ausnahmen vom Tötungsverbot wurden im Planfeststellungsbeschluss nicht nur für Arten erteilt, bei denen feststand, dass Verbotstatbestände erfüllt werden, sondern auch für Arten, bei denen ein Erfüllen des Tatbestandes nicht sicher ausgeschlossen werden kann. Für diese Fälle wurde die Ausnahme nach § 45 Abs. 7 BNatSchG vorsorglich erteilt (S. 233 des Planfeststellungsbeschlusses).